Anläßlich des Erd-Ochsen-Neujahrs des 17. Rabjung-Zyklus im Tibetischen
Königsjahr 2136* möchte ich allen Tibetern meine Grüße entbieten, sowohl
denen in Tibet als auch denen, die außerhalb Tibets leben. Ich bete, dass
Friede und Wohlstand herrschen und unsere gerechte Sache zu einer
allmählichen Lösung gelangen möge.
Obwohl es keine alten oder neuen Phasen in der ständigen Umlaufbewegung der
Planeten gibt, aus denen sich Tage, Nächte, Monate und Jahre ergeben,
besteht in der ganzen Welt die Tradition, den Anfang eines Neuen Jahres nach
Vollendung des vorhergehenden feierlich zu begehen. Ebenso haben auch wir im
Schneeland Tibet die Tradition, das Neue Jahr im ersten Mondmonat mit
ausgedehnten Festlichkeiten zu feiern, die sowohl spirituelle als auch
weltliche Elemente enthalten. Im letzten Jahr wurden wir jedoch Zeuge, wie
als Reaktion darauf, dass überall in Tibet die Menschen ihre Verbitterung
über die Politik der chinesischen Behörden bekundeten, Hunderte von Tibetern
ums Leben kamen und Tausende verhaftet und gefoltert wurden.
Da die Tibeter in Tibet unendliches Leid und unsägliche Schwierigkeiten zu
ertragen hatten, ist das Neujahrsfest diesmal gewiss keine Zeit, in der wir
wie üblich feiern und Frohsinn walten lassen sollten. Ich bewundere die
entschlossene Haltung der Tibeter innerhalb und außerhalb Tibets, zur
Begrüßung des neuen Jahres auf festliche Aktivitäten zu verzichten. Ein
jeder sollte diese Periode vielmehr nutzen, um von untugendhaftem Tun
Abstand zu nehmen und sich positiven Handlungen zu widmen, um die Tugenden
zu pflegen und Verdienste anzusammeln, damit all diejenigen, die ihr Leben
um der Sache Tibets willen opferten, vor allem jene, die ihr Leben in den
tragischen Ereignissen im vergangenen Jahr verloren, durch sukzessive
Wiedergeburten in höheren Bereichen bald die Buddhaschaft verwirklichen
mögen. Das Verdienst edler Handlungen sollte auch denjenigen zugute kommen,
die gegenwärtig Leid erfahren, damit sie so bald wie möglich das Glück der
Freiheit genießen mögen. Durch eine solche Ansammlung kollektiver Verdienste
sollten wir uns alle um eine baldige Lösung für die gerechte Sache Tibets
bemühen.
Wie vorauszusehen war, haben die Behörden in Tibet die Kampagne des Harten
Durchgreifens wieder gestartet. In den meisten Städten in ganz Tibet
herrscht eine ungewöhnlich hohe Militärpräsenz, überall sind viele
bewaffnete Sicherheitskräfte und Truppen unterwegs. Allerorts müssen jene,
die auch nur das geringste Anzeichen ihrer Sehnsüchte in der Öffentlichkeit
erkennen lassen, mit Festnahme und Folter rechnen. Besonders den Klöstern
wurden drastische Restriktionen auferlegt, die patriotische Umerziehung ist
wieder in vollem Schwunge und ausländische Touristen können Tibet nur in
sehr beschränktem Maße besuchen.
In geradezu provokativer Weise ordnete die Regierung an, das Neujahrsfest
nun erst recht zu feiern. Wenn wir alle diese Entwicklungen betrachten, wird
deutlich, dass Absicht und Ziel der Behörden hinter diesen Maßnahmen sind,
die Tibeter einem solchen Grad an Grausamkeit und Schikanen auszusetzen,
dass sie es nicht mehr aushalten können und sich veranlasst sehen, erneut zu
demonstrieren. Sollte dies geschehen, gibt es den Behörden jeden Vorwand, in
noch nie erlebter und unvorstellbar gewalttätiger Weise zuzuschlagen. Daher
möchte ich eindringlich an das tibetische Volks appellieren, es möge sich in
Geduld üben und nicht auf diese Provokationen reagieren, damit nicht das
wertvolle Leben so vieler Tibeter vergeudet wird, und sie nicht Folter und
Leid erfahren müssen.
Es versteht sich von selbst, welch große Hochachtung ich für den
Enthusiasmus, die Entschlossenheit und den Opfermut der Tibeter in Tibet
empfinde. Es ist jedoch schwierig, durch das bloße Opfer seines Lebens
wirklich etwas zu erreichen. In erster Linie haben wir uns unwiderruflich
dem Pfad der Gewaltlosigkeit verpflichtet, und es ist wichtig, dass wir
nicht von ihm abweichen.
Noch einmal bete ich, dass das tibetische Volk von Unterdrückung und Folter
befreit werden und sich des Glücks der Freiheit erfreuen möge. Mögen alle
Lebewesen allezeit glücklich sein!
Der Dalai Lama
Den 25. Februar 2009
(was dem ersten Tag des ersten Monats des tibetischen Jahres des Erd-Ochsen
entspricht)
* Anm. des Übs: Das tibetische Königsjahr ist die Anzahl der Jahre seit der
Thronbesteigung des ersten tibetischen Königs Nyatri Tsenpo im Jahre 127 v.
Chr. Es müssen daher 127 Jahre zu unserer Zeitrechnung hinzugerechnet
werden, also 2009 + 127 = 2136. Durch die Verknüpfung von zwölf Tiernamen
mit fünf Elementnamen ergibt sich ein 60 Jahre dauernder Rabjung genannter
Zyklus. Wir befinden uns im 17. Zyklus des laufenden Großzyklus (60 x 60),
der im Jahr 1027 unserer Zeitrechnung begonnen hat.
Mein besonderer Dank und meine Verehrung gelten seiner Heiligkeit dem Dalai Lama,
der Übersetzerin Adelheid Dönges und dem Überlieferer dieser Zeilen, Tashi Tsogyal.
Das sind Zeilen die berühren!
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